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  • AutorenbildNilz H.

Wir. Zusammen.

Heute möchte ich von einem vorher langersehnten Juli-Abend 2020 berichten. Ich traf mich in privater, entspannter Runde mit meiner Abschlussklasse, die ich bis hier begleitet habe: Wir haben gefeiert, getanzt, gelacht und über Highlights der letzten Jahre gesprochen. Während des Abends entwickelten sich die Gespräche von anfänglich purer Freude und Gelassenheit hin zu immer tiefsinnigeren Betrachtungen.

Ich war sprachlos. Sind diese jungen (hedonistisch, zu weilen wankelmütigen) Menschen etwa weitflächig informiert und haben verstanden? Wie sehr, wurde klar, als sich manche geöffnet haben und anfingen über ernste Dinge zu sprechen. Sie sprachen über strukturelle Tatsachen. Tatsachen, die in unserer Gesellschaft täglich passieren – ohne dass sie strikt und nachhaltig verändert werden. Diese 16-jährigen Menschen erkennen. Sie informieren sich stetig, sie sehen was in der Welt nicht richtig läuft. Sie berichteten über wenige superreiche Menschen und Konzerne und wie sie arme Menschen und Länder ausbeuten. Sie erkannten, dass viele Entscheidungen auf Profit und Macht verkürzt werden. Wir sprachen über Rassismus, Feminismus, Sexismus, Menschenrechte und Ungerechtigkeit. Wir nannten es „das Böse“ und wir waren uns einig, auf der anderen Seite zu stehen. Wir handeln anders. Wir sind für „das Gute“.

Nilz Hübenbecker in Eintracht mit Nirvana

Als ich 16 Jahre alt war, war Musik mein Dreh- und Angelpunkt. Ich war mir sicher alle Texte von Nirvana nicht nur mitsingen zu können, sondern auch zu ihrem Kern vorgedrungen zu sein. Vermutlich fühlte ich mich einfach nur verstanden. Das gab mir Halt. Gleichzeitig fühlte ich mich aber auch allein und irgendwie unverstanden. Ein bisschen wie eine offene Wunde, die notdürftig zugedeckt ist. Dieses „Nicht-Verstanden-Fühlens“. Dieser Sumpf, der manchmal in Selbstmitleid endet. Es war eine Operation am offenen Herzen.

Offenbar ist der große Unterschied zwischen meiner Jugend und der heutigen, dass sie sich heute intensiver mit den Problemen auf der Welt auseinandersetzen. Sie vernetzen sich global und tauschen sich aus. Sie nutzen das Internet und suchen konkret nach Dokumentationen und Artikeln. Sie nehmen Beiträge über Auswirkungen gesellschaftlichen Handelns wahr und fühlen, wie wenig sie einfach hinnehmen wollen. Das gab es zu meiner Zeit nicht.

Oder habe ich mich geirrt und wir sehnen uns einfach nur nach Harmonie wenn wir jung sind (während wir sehen, wie permanent jemand am Gleichgewicht zerrt)? Oder ist die Möglichkeit sich heute zu informieren einfacher als 1998?

Jedenfalls nein, es schauen nicht alle Jugendlichen weg. Sie schauen hin. Sie sind schockiert. Sie wollen etwas anderes.



Ein Gefühl, in dem sich manche Jugendliche und ich selbst mich manchmal wiederfinden, ist das Gefühl der Ohnmacht. Oder eher Wut? Endet Wut, die sich nicht auf ihren Ursprung richtet eigentlich immer in Ohnmacht? Ich schreibe von dem Gefühl, dass man die Welt jetzt und sofort und mit allen Mitteln zu einer anderen, einer besseren machen möchte. Das endlich all „dieses Böse“ aufhört. Dann erzählten mir einzelne Jugendliche von depressiven Phasen, Weltschmerz und dass Therapeuten sie mit Medikamenten behandeln wollten.

Aber sie wehrten sich dagegen. Eine Schülerin meinte: „Verdammt, ich will doch einfach nur helfen und etwas dagegen tun. Und nun soll ich mir Hilfe holen weil ich mich mit der Realität befasse in der ich lebe?“

Wenn ein Mensch unsere Realität sieht, nicht einfach hinnehmen will und keine Möglichkeit sieht sich einzubringen, dann braucht diese Person vor allem: Verständnis, Unterstützung und Verbündete für ihr/sein Anliegen. Da kann man sich schon etwas ohnmächtig und von Treibsand umgeben fühlen. Lasst uns über dieses Gefühl der Besinnungslosigkeit/Ich-Alleine-Gegen-Windmühlen austauschen!

Ich danke der 10B für diesen wundervollen Abend. Ihr seid geil. Safe. Wir halten zusammen. Wir schauen nicht weg.



Euer Nilzo


Keanu Reeves als Lego Figur mit gezückter Pistole auf Waldboden
Keanu Reeves schaut im Garten von Nilz Hübenbecker nach dem Rechten. Foto von Hello I'm Nik | unsplash

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